Die Last der Depression
Ich leide unter Depressionen.
Mittlerweile nur noch selten – ich bin quasi „geheilt“, aber vor allem 2017 waren sie stark ausgeprägt und (wie man sich denken kann) ein Auslöser für die lebhaften Träume, über die ich hier schreibe.
Ich wollte diesen Umstand schon länger in einem Artikel festhalten und erzählen was für Fallstricke ich aus dieser Krankheit mitgenommen habe. Doch warum jetzt, nachdem ich den Blog so lange habe liegen lassen? Heute Morgen habe ich erfahren, dass ein Twitter-Account mit großer Reichweite seit geraumer Zeit einen Discord-Server betreibt (falls jemand Discord nicht kennen sollte: Es ist eine Chat-Plattform, besonders bei Gamern beliebt), der sich mit Depressionen befasst und Benutzern eine Anlaufstelle bieten soll, sich dort auszutauschen. Nun kann man sagen, dass dies eine noble Idee ist und es betroffenen nur Vorteile bringt. Ich sehe das anders. In meinen Augen kann so eine Plattform sogar der Genesung von Erkrankten im Weg stehen.
Das Dilemma mit dem Antrieb
Um zu erklären warum ich schlecht über dieses Angebot denke, möchte ich ein ausgeprägtes Symptom beschreiben, das mit Depressionen einhergeht: Antriebslosigkeit. An vielen Tagen während meiner Krankheit lag ich wie gefesselt auf dem Bett oder der Couch, völlig unfähig irgendwas zu tun. Jeder kennt dann die Menschen, die einem raten: „Dann lenke dich doch mit etwas ab, das dir Spaß macht“. Das war der Plan. Ich liebe Videospiele. Der Wunsch mich mit diesen abzulenken war stets vorhanden. Aber die Krankheit hält einen aktiv davon ab zu handeln. Also lag ich da. Lustlos. Und habe mir Stundenlang Videos auf YouTube oder Serien auf Netflix angesehen. Habe ich sie genossen? Teilweise. Aber es war nie das, was ich eigentlich tun wollte. Und ich war dessen völlig bewusst, allerdings nicht fähig das zu ändern.
Aus diesem Grund ist es für mich nicht verständlich warum die ersten Schritte zur Heilung dieser Krankheit so viel Eigeninitiative erfordert. Nachdem einen ein Hausarzt auf Depressionen diagnostiziert hat, wird einem geraten zu einem Therapeuten zu gehen. Allerdings wird einem dieser nicht zugewiesen oder man wird direkt überschrieben. Man muss in den meisten Fällen zuerst bei einer Hotline anrufen, die einem dann eine Liste mit Praxen zuschickt, die freie Plätze haben. Anschließend muss man diese abtelefonieren, um eine erste Sitzung zu bekommen.
Ich fasse also zusammen: Bevor meine Krankheit, bei der ein starker Verlust der Eigeninitiative ein Hauptsymptom ist, behandelt werden kann, muss ich drei Mal Initiative zeigen. Initialer Besuch beim Arzt, Anruf bei der Hotline und anschließend Anruf bei den möglichen Praxen. Dieser Umstand wäre damit vergleichbar, dass man einer Person mit zwei gebrochenen Beinen sagt, er müsse müsse leider selbst zum Krankenhaus laufen.
Den letzten Schritt habe ich übrigens nie geschafft. Glücklicherweise haben Medikamente und vorgeschlagene Änderungen meiner Lebensumstände dazu geführt, dass ich nun an einem Punkt angekommen bin, an dem ich mich wieder gut fühle. Hätte ich später auf meine Krankheit reagiert oder wäre sie stärker ausgeprägt gewesen, würde ich vermutlich noch genau so leiden wie noch vor einem Jahr.
Solltet ihr also jemanden kennen, der diesen Service nutzt – Sprecht mit der Person und bietet ihnen den moralischen Support an, um den Weg zur ärtzlichen Hilfe zu beschreiten.
Die Bedrohung der eigenen Sicherheit
Damit schlage ich nun den Bogen zurück zum bereits erwähnten Discord-Server. Für’s Protokoll: Die Tatsache, dass sich betroffene mit gleichgesinnten Austauschen können ist keine schlechte Sache. Es ist natürlich auch wesentlich einfach sich in geschriebener Form auszudrücken, als von Angesicht zu Angesicht oder Telefon. Das Problem kommt aber ironischer Weise genau mit dieser Sicherheit.
Auch hier kann ich aus eigener Erfahrung sprechen: Oft sorgen Ereignisse während der Krankheit für ein gutes, beflügelndes Gefühl. Sie sind ein Zuckerrausch, die einen für Stunden oder Tage die Erkrankung vergessen lassen. Nichts schlechtes. Dennoch sind es lediglich die Schmerzmittel und nicht die Bekämpfung der Erreger. In diesem Discord-Server stecken vor allem viele junge Besucher, die sich innerhalb diesem verlieren und durch die dort geschaffene Sicherheit in ein Stadium geraten, dass ihnen vortäuscht eine Verbesserung ihrer Erkrankung zu erreichen. Es ist leichter sich online mit anderen über seine Probleme zu unterhalten, als die oben beschriebenen Schritte zu tun und professionelle Hilfe zu suchen.
Das Problem das ich also sehe ist, dass sich diese Betroffenen in eine Sicherheitsblase packen, und noch weniger dazu angehalten sind den nächsten Schritt zu tun. Den Schritt, der ihnen tatsächlich dabei helfen kann Gesund zu werden. Natürlich kann es durchaus sein, dass allein das Gefühl der Gemeinschaft oder der Austausch einer Person helfen kann auf den richtigen Weg zu gelangen. Aber wenn auch nur ein Mensch aufgrund dieses „Services“ keine echte Hilfe bekommt, ist der Zweck dieser Plattform verfehlt.
Menschen wählen generell den Weg des geringsten Widerstandes. Besonders dann, wenn ihnen eine Krankheit den Antrieb nimmt, schwere Wege zu beschreiten.
Erkennt Depressionen frühzeitig
Depression ist mittlerweile eine Volkskrankheit. Seit ich darunter leide tauchen immer mehr Bekannte und Freunde auf, die mir sagen, sie haben das selbe Leiden. Laut einem Arzt mit dem ich gesprochen habe, bräuchte mittlerweile jeder dritte Deutsche Hilfe. Und das kann ich nachvollziehen. Das Problem ist, dass viele Symptome einfach zu unterschwellig sind und übersehen werden können. Eine Erkältung, ein Bänderriss oder Ausschlag hat einfach einen wesentlich klareren Effekt auf den Körper und werden leichter erkannt. Depressionen leiden zudem immer noch unter dem Stigma keine „echte“ Krankheit zu sein. Das ist Unsinn. Unbehandelte Depressionen werden zunehmend schwerer zu kurieren. Solltet ihr also Symptome aufweisen, die ihre Wurzel auch wo anders haben könnten – kämpft dafür einmal mit eurem Arzt zu sprechen. Und solltet ihr jemand kennen, der Symptome aufweißt: Sprecht mit ihnen. Motiviert sie den Schritt zu tun. Niemand ist „verrückt“, nur weil er eine mentale Krankheit hat.
Achtet darauf ob ihr folgende Symptome zeigt:
- Lustlosigkeit. Vor allem im Bezug auf Dinge, die man eigentlich gern tun würde.
- Müdigkeit, selbst nach langem Schlafen.
- Schlafprobleme. Auch in Form von greifbaren Träumen oder Schlafparalyse.
- Angst vor Kommunikation.
Es gibt natürlich wesentlich mehr. Allerdings sind das die, die in meinen Augen leicht übersehen werden können, da sie zu leicht als „ein schlechter Tag“ interpretiert werden. Häufen sie sich – geht auf Nummer sicher. Niemand verurteilt euch, weil ihr auf euch acht gebt.